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Serie „Unser innerer Computer“ Nr. 2

Umgang mit Ausnahmesituationen

© Heidrun Beer 2002

 

 

Im letzten Artikel dieser Serie haben wir mit einigem Erstaunen festgestellt, daß die Computerabstürze, die meist im allerunpassendsten Moment passieren - gerade wenn wir die überfällige Steuererklärung ausdrucken wollen oder das Bewerbungsschreiben für eine einmalige Chance im Beruf -, daß diese Abstürze keineswegs Zufälle sind.

 

Weil uns die Einsicht in die Geheimnisse des Betriebssystems fehlt, können wir sie nicht vorhersagen - aber die Programmierer des Systems haben die vielen Beschwerdebriefe längst fein säuberlich katalogisiert und wissen genau, was dabei schief geht. Das nächste Update des Systems wird dann euphorisch damit beworben, daß „Tausende von Fehlern behoben“ wurden (wörtliches Zitat) - mit anderen Worten, wir haben jahrelang auf Betriebssysteme vertraut, die Tausende von Fehlern enthalten haben!

 

 

Fehler

 

Leider ist das kein Scherz, sondern die harte Realität. Und noch viel härter ist die Gewißheit, daß auch in dem Betriebssystem, das durch Elterhaus, Schule und Umwelt in unserem inneren Computer, dem Verstand, installiert worden ist, Fehler enthalten sind. Vielleicht nicht gerade Tausende von Fehlern, aber doch genügend viele, um ihn hin und wieder gewaltig zum Absturz zu bringen.

 

Es ist zwar erfreulich, daß solche Abstürze den Verstand nicht für immer zerstören, sondern mit gutem Prozessing repariert werden können, aber wäre es nicht viel erfreulicher, mit einem Betriebssystem zu arbeiten, das Abstürze von vornherein ausschließt - oder zumindest weitgehend ausschließt?

 

Sollte es möglich sein, auch im menschlichen Verstand ein (Denk-) System zu installieren, das stabiler läuft als jene zerbrechlichen Systeme, an die wir uns all die Jahre gewöhnt haben?

 

 

Computer-„Abstürze“ im Verstand

 

Die Rede ist von Ausnahmesituationen oder Krisen. Wir haben alle irgendwann damit übereingestimmt, daß wir auf Krisen mit negativer Energie reagieren - so sehr, daß das Vereinbaren eines Sitzungstermins zu einem selbstverständlichen Impuls geworden ist. Wir wissen, eine Krise erfordert eine Sitzung zur Handhabung der negativen Energie oder „Ladung“. Und gut so, denn wie viele andere Menschen gibt es, die mit einer solchen Bürde für den Rest ihres Lebens - oder für viele weitere Leben - herumlaufen müssen!

 

Die Rede ist also, in anderen Worten, vom vorübergehenden Zusammenbruch unseres inneren Computers. Wir wissen in unserem Innersten, daß eine Krise negative Energie erzeugt, die anschließend beseitigt werden muß. Wir wissen das so genau, daß wir dieses „stabile Datum“ nicht mehr hinterfragen.

 

Aber halt: haben wir uns nicht soeben vor Augen geführt, daß mit einem besseren Betriebssystem viele Abstürze in unserem Computer, an die wir uns jahrelang gewöhnt hatten, gar nicht mehr stattfinden müssen? Wäre es vielleicht möglich, auch unser inneres Betriebssystem so widerstandsfähig zu programmieren, daß Abstürze, deren Abläufe wir glauben vorhersagen zu können, vermeidbar werden? Ist es überhaupt machbar, sich auf den Umgang mit Dingen vorzubereiten, die plötzlich über uns hereinbrechen und gegenüber denen wir machtlos sind?

 

 

Ein Beispiel-Programm

                                                                                            

Der Programmierer eines Computers wird meist an dem gemessen, was sein Programm tut. Aber oft ist das, was das Programm nicht tut, mindestens ebenso wichtig wie das, was es tut! Und zwar soll es nicht mit einem Absturz auf eine Situation reagieren, die den Ablauf einer bestimmten Funktion stört oder verhindert. Eine solche Situation nennt man eine „Ausnahmebedingung“.

 

Ein konkretes Beispiel wird sofort verdeutlichen, was damit gemeint ist. Nehmen wir an, wir möchten ein Programm schreiben, das die Fotodateien in unserem Bilderalbum auf eine CD sichert oder auslagert. Ein CD-Brenner ist im Computer eingebaut und funktioniert prächtig, wir haben einen Stapel Rohlinge besorgt und testhalber einiges kopiert, die Software zum Schreiben eines Programmes ist uns schon lange vertraut und es kann losgehen.

 

Wir wollen es einfach halten, also entwerfen wir nur eine schlichte Maske, in die der Benutzer den Laufwerksbuchstaben des CD-Laufwerks eingeben kann, dazu ein Fenster für die Auswahl der Dateien und einen Knopf, der den Kopiervorgang startet. Ein erster Probelauf zeigt keine Probleme. Ist das nicht schön! Ein so nützliches kleines Hilfsprogramm in so kurzer Zeit geschrieben! Voller Begeisterung zeigen wir es dem Herrn Sohn - der damit prompt innerhalb der nächsten Minute einen kapitalen Absturz produziert.

 

 

Ausnahmebedingungen am Computer

 

Was ist geschehen? Was hat Andy falsch gemacht? Nun, falsch gemacht hat er gar nichts, jedenfalls nicht mit Absicht. Er hat sich nur einfach vertippt. Er wollte „E“ als Laufwerksbuchstabe eingeben, hat aber stattdessen auf die Taste daneben gedrückt und aus dem „E“ wurde ein „W“. Ein solches Laufwerk hat aber unser Computer nicht - und schon ist das Programm abgestürzt.

 

Das ist nur einer von vielen möglichen unerwarteten Zuständen, mit denen das Programm nicht umgehen kann. Andy hätte genausogut „D“ eingeben können. Unser Computer kennt ein D-Laufwerk; es ist die zweite Festplatte. Allerdings ist „D“ kein CD-Brenner und deshalb wird unser Programm, das nur CD-Laufwerke erkennt, nicht darauf zugreifen können. Oder Andy hätte eine Zahl als Laufwerksbuchstaben eingeben können, oder ein Leerzeichen. Andy hätte irrtümlich auf zwei Tasten zugleich drücken und damit das System total verwirren können. Andy könnte so viele Dateien auswählen, daß sie nicht auf die eingelegte CD passen. Der CD-Rohling könnte defekt sein... der Katalog von Fehlerquellen ließe sich endlos erweitern.

 

Alle diese Situationen muß ein Programmierer voraussehen. Das Programm muß den Benutzer auf solche Dinge aufmerksam machen, anstatt abzustürzen. Es kann auch einfach nur eine dicke Haut haben und z.B. überhaupt nichts tun (intern tut es dabei keineswegs nichts, sondern es erkennt die Ausnahmesituation und bricht den Arbeitsgang vorzeitig ab, ohne es zu melden). Auf jeden Fall soll es nicht einfach vom Bildschirm verschwinden, und am allerwenigsten soll es das Betriebssystem so instabil machen, daß der ganze Computer „einfriert“ und einen Neustart erfordert, oder womöglich gar zur Reparatur muß.

 

 

Ausnahmesituationen im Verstand

 

Die Ausnahmebedingungen im Computer sind also, grob zusammengefaßt, alle jene Umstände, die unser Programm daran hindern, das zu tun, wofür es geschrieben wurde. Die Qualität des Programmes ergibt sich nicht nur aus dem, was es leistet, sondern auch, wie es nicht in einer Ausnahmebedingung abstürzt oder sogar zu einem Computerabsturz führt.

 

Was sind nun die entsprechenden Ausnahmesituationen im Verstand, wie kann man sie erkennen, und vor allem, was kann man dagegen tun? Es wäre zu schön, wenn die Analogie zum Computer so einfach wäre, daß man sagen könnte: „Natürlich alle jene Dinge, die uns daran hindern, das zu tun, was wir geplant haben.“ So einfach ist es leider nicht. Unser Verstand ist so gestrickt, daß Ausnahmesituationen nicht nur das eine Programm stören, in dem sie auftreten, sondern sie erzeugen einen Fehlerstrom im gesamten Computer und damit gefährden sie nicht nur das Verhalten des betroffenen Programmes, sondern die Stabilität des gesamten Betriebssystems mitsamt aller Programme, die darauf laufen.

 

Das wichtigste Schlüsselwort dabei heißt Schmerz. Aber auch andere Formen der Energie-Entgleisung können das Betriebssystem stören. Angst zum Beispiel kann das gesamte System lähmen. Sinnlose Wut kann es zu gefährlichen Fehlhandlungen treiben. Mit einem Wort: alle jene Energiezustände, die wir als „Mißemotion“ kennengelernt haben, sind mehr oder weniger ausgeprägte Computerabstürze, und jedes Ereignis oder Ereignismuster, das zu einer Mißemotion führt, ist eine Ausnahmesituation, für die man als guter Programmierer eigentlich einen Fehlerausgang vorsehen sollte.

 

Von einer solchen „Programmierung“ haben wir weder von unseren Eltern noch in der Schule je gehört. Es klingt wahrlich exotisch. Aber wenn wir von vornherein wissen, daß diese Dinge im Leben vorkommen - wäre es da nicht der Mühe wert, sich so darauf vorzubereiten, daß die zwanghafte Koppelung zwischen Ausnahmezustand und Mißemotion aufgelöst wird und eine Krise, wenn sie schon unvermeidbar ist, wenigstens nicht den gesamten inneren Computer lahmlegt?

 

 

Körperlicher Schmerz

 

Ein Fehlerstrom, wie es ihn vergleichbar im Computer nicht gibt, ist allerdings der körperliche Schmerz. Wir sind in der glücklichen Lage, viele Situationen, die mit Schmerzen verbunden sind, mit Hilfe der modernen Medizin beherrschen zu können. Geburtswehen werden ja oft von jungen Müttern gerne in Kauf genommen - andere Schmerzen kann man in fast allen medizinischen Krisen durch Medikamente ausschalten, dann in Ruhe nach der Ursache suchen und diese gezielt beheben.

 

Wie kann man sich aber auf Situationen vorbereiten, wo das nicht möglich ist? Wie bewahren wir unseren inneren Computer vor einem Totalabsturz, wenn wir von einem irren Kriminellen absichtlich gequält werden? Wie behalten wir die Oberhand, wenn wir in einem Land leben, wo ein sadistischer Soldat oder Polizist es in der Hand hat, uns bis aufs Blut oder sogar bis zum Tod zu foltern?

 

Eine beinahe vergleichbare Situation kann auch in zivilisierten und politisch stabilen Ländern eintreten, wenn wir Unfälle erleiden und nicht bald gefunden werden, oder am Ende unseres Lebens, wenn die Schmerzen einer tödlichen Krankheit nicht mehr beherrschbar sind und man uns die erlösende Spritze verweigert.

 

Die Analogie mit dem Computer versagt hier. Einen Computer, der von einem bösartigen Virus geplagt wird, können wir ausschalten und dann ohne Zeitdruck das System reparieren; wir haben nach wie vor die Kontrolle darüber, und außerdem verursacht sein Systemabsturz keine Schmerzen. Selbst wenn ein wütender Ehepartner mit der Axt darauf einschlägt, wird er stumm kaputtgehen und uns dabei nicht mit unerträglichen Energiesignalen quälen.

 

 

Kontrollverlust

 

Eingeklemmt in ein brennendes Fahrzeug sind wir hingegen der Kontrolle beraubt. Ebenso in der Hand von Wahnsinnigen oder Folterknechten, oder in den Klauen einer Krankheit, gegen die die Medizin machtlos ist. Meist können oder dürfen wir den „Computer“ dann auch nicht mit einer Zyankalikapsel abschalten, selbst wenn wir uns das noch so sehr wünschen.

 

Wir können für solche Situationen keine Fehlerausgänge programmieren, weil wir die Eigentümerschaft verloren haben, während erfolgreiche und sinnvolle Programmierung Eigentümerschaft voraussetzt. Wir können uns nicht einmal vornehmen, den Schmerzen absichtlich durch den Tod zu entkommen, weil auch für einen geplanten Tod Eigentümerschaft erforderlich ist.

 

Was wir tun können, ist der Tatsache ins Auge zu sehen, daß wir nicht immer und in hundert Prozent aller Fälle die Kontrolle behalten können, und damit Frieden zu schließen. Laut L. Ron Hubbard ist das Leben ein Spiel, und zu den Spiele-Bedingungen gehört die Möglichkeit des Verlierens. Im Frieden mit dem Wissen, daß wir im Spiel des Lebens auch einmal verlieren können, läßt sich das Spiel viel konzentrierter spielen, als wenn wir mit der Angst vor solchen Situationen Energie vergeuden, oder massiven Widerstand dagegen aufbauen.

 

Es ist der Widerstand gegen den Schmerz, der Energie zu mentalen Massen verdichtet, die uns später belasten. Nicht immer bemerken wir das erst im nächsten Leben. Manchmal überleben wir die Krise auch, und müssen uns dann mit enormen Energiepaketen abschleppen, die von unserem verzweifelten Widerstand gegen den Schmerz übriggeblieben sind.

 

Nicht dagegen anzukämpfen, kann manchmal der sinnvollere Weg sein. Im Wissen, daß ein geistiges Wesen unsterblich ist und daß wir zwar ein Spiel, ja selbst einen Körper verlieren können, dadurch aber nicht ausgelöscht werden, können wir in Frieden aufgeben, selbst wenn der Körper sich zur gleichen Zeit vor Schmerzen krümmt.

 

So paradox es klingt: durch das Akzeptieren der Möglichkeit, daß wir vielleicht irgendwann aufs brutalste verlieren können, haben wir noch am ehesten die Chance, so engagiert und unbeschwert zu spielen, daß eine solche Situation nie eintritt. Obwohl dieser „Fehlerausgang“ am Computer keine Parallele hat, sind doch die Chancen gut, daß er in unserem inneren Computer funktioniert.

 

Und auch wenn die Analogie mit dem Computer in diesem Fall nicht anwendbar ist, bleiben uns doch noch genügend andere Situationen, in denen sie hilfreich ist, wo wir die Kontrolle behalten und durch intelligente Programmierung unser Ziel eines stabil laufendes mentalen Betriebssystems erreichen können.

 

 

Typische Ausnahmezustände

 

Die meisten typischen Ausnahmezustände für unseren inneren Computer kennen wir alle bestens aus Büchern und Hollywood-Filmen. Weil sie uns so sehr bewegen, waren sie schon immer große Themen in der Kunst.

 

Zeuge zu werden, wie der geliebte Partner von einem Leiden wie Krebs oder Alzheimer schleichend zerstört wird; den verhängnisvollen Unfall der Tochter nicht abwenden zu können; der Ausbruch einer unheilbaren Erbkrankheit; die Verletzung, die die Karriere ruiniert; eine überwältigende Begegnung zwischen Mann und Frau, die eine langjährige harmonische Beziehung zerstört; der Tod eines Kindes im Mutterleib; der Verlust der Eltern; der Bruch eines Versprechens, auf das wir gebaut haben...  diese und viele andere typische Krisen erleben wir nicht nur im eigenen Umfeld und in der weiteren Familie, sie werden auch von der Welt der Kunst immer wieder dem Leben abgelauscht, umgestaltet, neu formuliert und in Tausenden von Abwandlungen ständig auf uns zurückreflektiert.

 

Hier finden wir auch gleich eine der wichtigsten Ursachen dafür, daß unser inneres „Betriebssystem“ nicht so stabil läuft, wie wir das gerne möchten. Wir haben so oft, wenn auch nur auf der Kinoleinwand oder am Fernsehschirm, miterlebt, wie ein Held oder eine Heldin beim Anblick des verstorbenen Kindes im Sarg zusammenbricht oder völlig die Fassung verliert, wenn sie den Partner in den Armen eines anderen Mannes oder einer anderen Frau überraschen, daß sich diese (und viele andere) Reaktionen unbemerkt in unsere eigene „Nachschlagetabelle“ von angemessenen Reaktionen eingetragen haben.

 

Wir wurden nicht nur im Elternhaus und in der Schule programmiert, wir unterliegen der mentalen Programmierung noch immer täglich und stündlich durch all die Muster, die wir in Form von Kunst oder Unterhaltung ständig in uns aufnehmen! Und natürlich lebt ein Buch oder ein Film von der Krise und vom Konflikt - was liegt also näher, als jede Ausnahmesituation so stark wie möglich zu dramatisieren, damit sie als Story auch wirklich genügend hergibt?

 

Diese schleichende Programmierung müssen wir zuerst erkennen und ihr dann etwas Wirksames entgegensetzen. Es ist nicht so, daß unser Betriebssystem einmal eingerichtet wurde und dann für immer so läuft. Der Kontakt mit dem Leben und der Welt setzt es ständig fremden und fallweise auch schädlichen Einflüssen aus - genauso wir wir jedesmal, wenn wir vom Internet unsere E-Mail herunterladen, Gefahr laufen, dabei einen Virus zu installieren.

 

 

Abhilfen

 

Aus dem Problem ergibt sich zugleich auch die Lösung. Die tägliche Seifenoper hat in uns eine unfreiwillige Koppelung zwischen bestimmten Erlebnissen und „typisch menschlichen“ Mißemotionen installiert? Die Bücher, die wir am Wochenende lesen, hinterlassen nicht nur Eindrücke in unserem Verstand, sondern auch die Abdrücke der Verhaltensmuster, die die Autoren darin beschreiben?

 

Dann drehen wir den Spieß doch einfach um. Wir brauchen dafür nicht einmal so viel Werkzeug wie beim Programmieren eines Computers - Papier und Kugelschreiber genügt.

 

Wir schreiben jede Mißemotion auf, die wir an uns selbst beobachten, und dazu alle jene Szenen aus der Welt der Kunst (auch aus dem wirklichen Leben!), wo wir diese spezielle Koppelung zwischen Ereignis und Mißemotion beobachtet haben.

 

Dann definieren wir, als die alleinigen Besitzer unseres inneren Computers, unsere eigene angemessene Reaktion. Ist Verzweiflung die einzige mögliche Reaktion auf einen Seitensprung des Partners? Hätten Geduld und liebevolle Toleranz nicht ihre ganz eigenen Vorteile? Welchen Vorteil hat eigentlich Verzweiflung, außer daß sie „angemessen“ ist, weil eine Anzahl von Familienangehörigen und 10 oder 100 oder 1000 Roman- und Drehbuchautoren das postulieren? Welche Reaktion hat welche Vorteile, welche Nachteile, welchen Wert hat sie unter dem Strich?

 

Wir können einzelne Verhaltensmuster gezielt aus unserer Programmierung entfernen und durch bessere ersetzen, indem wir nüchtern den Wert jeder denkbaren Reaktion berechnen und dann systematisch die beste davon trainieren. Schließlich wurde auch die ursprüngliche Reaktion, die wir jetzt ersetzen wollen, irgendwann trainiert. Mancher von uns hat noch nie im Zorn mit Tellern geworfen, einige tun es vielleicht jede Woche. Wenn wir es regelmäßig tun, haben wir das Muster trainiert, wir haben es uns angeeignet, wir haben es „installiert“ - es zu einem Teil unseres Betriebssystems gemacht.

 

Ein Muster, das nie trainiert wurde, würden wir auch nicht verwenden, genauso wie am Computer ein Programm nur dann läuft, wenn wir irgendwann die CD ins Laufwerk geschoben haben, von der es dann installiert wurde. Dieser spezielle Moment hat ein Datum, eine Zeit, einen Ort und genaue Umstände. Meist gibt es dazu auch eine ausführliche Reihe von Wiederholungen, in denen der Ablauf unserer Reaktionen geübt wurde, und ganz am Anfang eine Grundsatzentscheidung („Ich möchte so werden wie Papa“, „Man muß hart mit den Leuten sein, sie vertragen keine Freundlichkeit“ usw.)

 

Wenn es also schwierig wird, ein hartnäckig in unserem Charakter verankertes Muster zu ersetzen, wäre es eine gute Idee, in einer Sitzung herauszufinden, wann und wie genau es installiert worden ist, möglichst exakt festzustellen, wie oft die Installation wiederholt bzw. das Muster trainiert worden ist, welche Grundsatzentscheidung damit umgesetzt wird, und welche anderen Entitäten oder Identitäten daran möglicherweise noch beteiligt sind.

 

Es ist möglich, eine unheilvolle Automatik - wie das Schlagen eines Kindes oder das Hinunterspülen von Verzweiflung mit Alkohol - durch ein bewußt unterschiedliches Muster zu ersetzen. Wenn uns das einmal gelungen ist, gelingt es auch wieder; nach zehn oder zwanzig Wiederholungen haben wir dann ein ganz neues Muster installiert, ein Muster, das viel besser funktioniert und keinen Schaden mehr anrichtet. Wir haben unser Betriebssystem upgedatet, ohne es dafür ausschalten zu müssen - ein Kunststück, auf das wir mit Recht stolz sein können!

 

Jeder von uns hat einen ganzen Katalog von typischen Ausnahmesituationen, die immer wieder die gleichen Reaktionen in uns verursachen, in unserem inneren Computer einen mehr oder weniger dramatischen Systemabsturz auslösen, und für die wir doch mit methodischer Vorbereitung und gewissenhaftem Training stabile und sichere „Fehlerausgänge“ programmieren können. Ein fatales Kapitel sind z.B. gebrochene Versprechen – Versprechen, die uns gemacht wurden, aber auch Versprechen, die wir anderen gemacht haben. Dieses Kapitel allein wäre die Beschäftigung mit Ausnahmesituationen schon wert. Aber auch auf die meisten anderen Ereignisse, die uns aus der Bahn werfen könnten, können wir uns in einer ruhigen Stunde vorbereiten.

 

 

Katastrophen

 

Die meisten Ausnahmesituationen sind nicht sehr milder Natur. Manche stellen unsere Existenz in Frage oder rühren an unseren Lebensnerv. Wenn wir unsere Anstellung verlieren, ist das eine ernste Situation - und doch stößt das so vielen Menschen zu, daß wir gut beraten sind, wenn wir uns darauf vorbereiten. Welche alternativen Möglichkeiten stehen uns offen, wenn wir plötzlich arbeitslos sind? Solche Dinge sollten wir durchdenken, wenn es uns gut geht, nicht wenn uns das Entsetzen über das unvorhergesehene Ereignis lähmt. Ein gut durchdachter und sorgfältig ausgearbeiteter Krisenplan, vielleicht sogar mehrere unterschiedliche Pläne, tritt dann an die Stelle der Lebenskrise.

 

Wir können uns auf Dinge vorbereiten wie plötzliche Blindheit oder ein Dasein im Rollstuhl. Wir können uns wappnen gegen Kriege und Naturkatastrophen. Einige davon können immer noch das Ende bedeuten, aber viele auch nicht! Mit Hilfe einer Liste all jener Dinge, die wir am meisten fürchten, können wir für alle diese Ausnahmesituationen „Fehlerausgänge“ programmieren.

 

Wenn natürlich nach 40-jähriger Ehe der Partner plötzlich nicht mehr da ist, läßt sich das bestimmt nicht so nebenbei und mit einem Lächeln im voraus durchorganisieren. Und doch können wir dafür trainieren, denn es besteht eine 50-prozentige Chance, daß wir eines Tages mit genau dieser Situation fertigwerden müssen.

 

Wir können uns zunächst bemühen, in der Gegenwart all jene Fehler zu vermeiden, die viele Menschen nach dem Tod des Partners bereuen. Ein großer Teil des Schmerzes besteht oft aus Reue über vermeidbare Fehler! Eine gute Regel ist, nie ein Wort oder eine Geste der Liebe zurückzuhalten oder für einen späteren Moment aufzusparen, und überhaupt nie eine Kommunikation zu verzögern.

 

Eine andere ist, jeden noch so kleinen Bruch der Vertrautheit möglichst noch am selben Tag wieder in Ordnung zu bringen. „Hätte ich ihm doch nur gesagt, wie viel er mir bedeutet“, oder „Ich wollte mich so gerne noch für meinen Jähzorn entschuldigen“ - Selbstvorwürfe wie diese müssen nicht sein. Warum übermitteln wir eine Kommunikation nicht immer gleich dann, wenn sie in uns aufsteigt?   

 

Wir können eine Liste mit Dingen anfertigen, die wir gern mit unseren Liebsten tun wollen. Wer weiß denn, ob wir unser statistisches Durchschnittsalter auch nur annähernd erreichen? Warum nehmen wir uns nicht jede Woche oder jeden Monat eins jener Dinge vor, die wir gerne zusammen erleben möchten - die Reise nach Venedig, den Camping-Ausflug, die Flußkreuzfahrt zur Mündung der Donau? Falls wir dann wirklich von einem plötzlichen Unheil getroffen werden, haben wir doch wenigstens einen Teil unserer Visionen verwirklicht.

 

Eine andere Liste könnte organisatorische Einzelheiten enthalten. Welche Dinge des täglichen Lebens müssen neu organisiert werden, wenn der Partner auf Dauer ausfällt? Welche finanziellen Dinge müssen geregelt werden? Im Kummer über seinen Tod oder in der Sorge um seine Erkrankung fallen solche Management-Aufgaben besonders schwer; die Entgleisung der Organisation kann eine ohnehin schon schwierige Lage noch zusätzlich verschärfen und aus einer subjektiv belastenden Situation eine objektiv bedrohliche machen.

 

Wir können auch eine Liste von lieben Gewohnheiten schreiben, die es ohne den Partner nicht mehr geben würde, und schon im vorhinein planen, was wir stattdessen tun könnten: im Obdachlosenheim aushelfen, einen Garten anlegen, eine Sprache lernen - solche kleinen Herausforderungen könnten uns irgendwann ein neues Betätigungsfeld geben, das die frei gewordenen Energien bindet, die sonst plötzlich kein Ziel mehr haben und unbeschäftigt sind. Ziellos gewordene Energien sind wie blutende Wunden, sie rauben uns Lebensenergie und verursachen ständigen Schmerz.

 

Alle diese Maßnahmen gemeinsam ergeben einen weiteren Krisenplan, der uns helfen kann, die schwerste Zeit in unserem Leben zu überstehen: wir haben einen stabilen Fehlerausgang in unser inneres Betriebssystem einprogrammiert.

 

 

Prozessing der Zukunft

 

Eine wenig bekannte, aber extrem wirksame Möglichkeit der Vorbereitung ist es,  zukünftige Verluste oder andere mögliche Katastrophen in Prozessing-Sitzungen aufzugreifen. Von Dingen, die wir fürchten - ein Feuer im Kinderzimmer, ein Sturz vom Balkon, der eigene Tod - erzeugen wir mentale Bilder, die formend auf die Realität wirken können, wenn wir sie verdrängen oder gegen sie protestieren. Solche selbsterfüllende Prophezeiungen können wir entschärfen, indem wir wie bei einem Erlebnis aus der Vergangenheit in einer Sitzung die negative Energie aus dem mentalen Bild entfernen und es völlig duplizieren, bis keine energetische Wirkung mehr davon ausgeht.

 

 

Umgang mit der Gegenwart

 

 

Der raffinierteste Trick, wie wir unser inneres Betriebssystem vor dem Abstürzen bewahren können, ist jedoch, die alles durchdringende Geisteshaltung aus der Sitzung auch im alltäglichen Leben aufrechtzuerhalten. Natürlich werden wir nicht mit komplizierten Listen von Prozessingfragen herumlaufen, oder mit vorbereiteten Listen und einem E-meter, aber die drei Kernbestandteile des Prozessing lassen sich ganz ausgezeichnet auf das Leben anwenden. Das hat wiederum keine Parallele im Computer, aber wenn man es einmal beherrscht, wirkt es wunderbar.

 

Das grundlegendste Werkzeug eines geistigen Wesens ist Durchdringung. Während einer Sitzung lösen sich die Reste eines Geschehnisses in demselben Augenblick auf, wo wir sie völlig durchdringen. Die Grundhaltung, unser Leben zu leben, während wir seine Räume und die Menschen darin durchdringen, verhindert gleich im Moment der Entstehung, daß sich dissonante Energierückstände bilden können. Die zweite Komponente beschreibt Alan C. Walter in seinem Knowledgism-Prozessing. Das Fragenpaar „Was ist es, das nicht erlebt werden darf? - Erlebe es!“ kann man sich leicht merken und immer dann anwenden, wenn wir den Impuls verspüren, eine Erfahrung zu vermeiden, davor wegzulaufen, oder gegen sie zu protestieren.

 

Für das geistige Wesen wird durch die Anweisung “Erlebe es!” das Muster des Energiestrahls verändert, mit dem es wahrnimmt. Sie macht ihn neugierig und empfindsam, ruhig und zuversichtlich. Dieses sachte hinaustastende, kontrollierte und leichtgewichtige Muster läßt keinen Platz für die hektisch zurückziehende Qualität des Vermeidens, oder die gewaltsame Gegenbewegung von Protest und Widerstand. Die alten Energieablagerungen des Zurückziehens von etwas, das nicht loslassen will, oder des Anrennens gegen etwas, das sich nicht bewegen läßt, bevölkern unseren inneren Raum wie die Felsbrocken im Asteroidengürtel. Es ist ein guter Teil des Aufräumens eines Falles in der Sitzung, diese Felsbrocken aufzulösen. Je weniger davon wir in der Gegenwart erzeugen, desto besser wird unser Verstand funktionieren.

 

Karmisches Coaching

 

Das dritte und wichtigste Werkzeug ist die vielleicht mächtigste Sitzungsfrage überhaupt. „Was könnte/sollte ich aus dieser Erfahrung lernen?“, wenn nötig auch wiederholt, ermöglicht es dem offenen Zyklus eines ungehandhabten Geschehnisses, zu einem Ende zu kommen. Sobald es beendet ist, kann es dann geschlossen werden, wie ein Programm, das mit allen seinen Programmzeilen fertig ist.

 

Die „könnte“-Version dieser Frage kommt zuerst und gibt uns alle Einsichten, die uns willkommen sind. Die „sollte“-Version folgt danach. Sie ermöglicht uns, nach jenen Einsichten zu forschen, die vielleicht unbequem, aber dennoch notwendig sind. Das bringt das Element der Verantwortlichkeit uns selbst, aber auch unserer Umgebung und sogar dem geistigen Universum gegenüber ins Spiel. Der Zusatz „Zu wessen Vorteil?“ bringt oft überraschende Ergebnisse: manche Dinge sollen wir nicht für uns selbst lernen, sondern für ein Kind, unsere Familie, vielleicht sogar für eine Mission innerhalb der Gesellschaft... das Aussprechen dieser unschuldigen Frage macht ein ganzes Netzwerk von schimmernden Verbindungslinien sichtbar.

 

Es gibt eine Theorie, die besagt, daß wir die selbe Art von Erfahrung so lange immer wieder in unser Leben ziehen, bis wir die Lektion gelernt haben, die darin enthalten ist - typischerweise Lektionen, die wir zu vermeiden versuchen. Wenn diese Theorie stimmt, dann wird die Frage „Was sollte ich aus dieser Erfahrung lernen?“ uns nicht nur dabei helfen, unser Leben zu meistern, sondern auch die Wiederholungskette des „karmischen Coaching“ unterbrechen. Mit dieser Frage reifen wir vom passiven zum aktiven Lernen. Es ist vielleicht die Schlüsselfrage für eine friedliche Zukunft.

 

Aus Platzgründen ist es nicht möglich, ausführlicher auf die vielen Einzelheiten einzugehen, die zum Thema „Umgang mit Ausnahmesituationen“ noch zu sagen wären - schließlich ist jeder „mentale Computer“ einmalig und hat seine ganz individuellen Prioritäten. Die Beschreibung des zugrundeliegende Prinzips und einige wenige Beispiele sollten Sie lediglich auf die Thematik aufmerksam machen; die eigentliche Arbeit kann Ihnen niemand abnehmen. Nun wird es an Ihrem Einfallsreichtum und Ihrer Energie liegen, wie erfolgreich Sie bei der Programmierung und Installation Ihres höchstpersönlichen absturzsicheren Betriebssystems sind!

 

Lesen Sie in der nächsten Folge dieser Serie über „Endlosschleifen“.